Wenden der Partnerschaft, Ehe und Familie
Paartherapie und Coaching
Schwerpunkt dieser kurzen Überlegung an dieser Stelle soll jedoch nicht sein, welche Paarkompetenzen gestärkt werden müssen. Denn eine Auswahl wesentlicher Gründe für elementare Unzufriedenheit und Trennungen lässt sich aus den Erkenntnissen von Paartherapie und Scheidungsforschung(„Scheidungsprädiktoren“) relativ klar aufzeigen. Gründe für die elementare Unzufriedenheit in der Beziehung sind nämlich besonders häufig:
- Defizite in der Kommunikationsqualität des Paares,
- langfristig stark belastender Stress,
- fehlende Unterstützung in den Herausforderungen des Alltags und in Krisen mit oder ohne Kind,
- zu wenig gemeinsames Miteinander und damit abnehmendes Vertrauen („sich langsam auseinanderleben“),
- sowie die ermüdende, entfremdende Monotonie des Alltags ohne die Bereitschaft des Partners/der Partnerin gemeinsame Veränderungen anzugehen („langweilende Vorhersehbarkeit“).
Aus familientherapeutischer Sicht sollen nun aber in gebotener Kürze besonders die Lebensphasen und Kontexte betrachtet werden, in denen Beziehungen mehr belastet scheinen – und die Frage, warum gerade dann. So wird Inspirationen möglich, wann Partnerschaft und Familie spezieller Aufmerksamkeit und der Unterstützung („Gegensteuern“) bedürfen.
1. Kinder(wunsch): Risiko für die Beziehung?
Zugegeben, die Überschrift birgt eine provokante These. Sind Kinder oder der Kinderwunsch eine Gefahr für die Beziehung? Pauschal wäre das sicherlich nicht richtig. Wichtig aber ist der möglichst gemeinsame Kinderwunsch – oder auch das gemeinsame Durchtragen einer Kinderlosigkeit. Insbesondere, wenn es sich um einen unerfüllten Kinderwunsch handelt. Werden dem Paar Kinder geschenkt, verändert sich die Beziehungsqualität enorm. Es geht hier zunächst nicht um „besser oder schlechter“. Aber das Miteinander als Paar muss sich zum Miteinander als Familie entwickeln. Wobei Intimität und Erotik sich nicht selten stark verändern. Paare sprechen hier oft vom „Funktionierenmüssen“. Sie erleben eine hohe Erfüllung als Familie und gleichzeitig nicht selten ein sich schleichendes „Sich-aus-den-Augen-Verlieren“ als Paar mit individuellen Wünschen, Sehnsüchten und Bedürfnissen. Kinder erfordern schlicht oft viele Kräfte der Eltern. Nicht zu vergessen, dass die Betreuung der Kinder daneben immer auch – zumindest temporär – eine lange nachwirkende Entscheidung für die Vereinbarkeit mit den beruflichen Aktivitäten abverlangt. Nachweislich sinkt die Beziehungszufriedenheit und -stabilität in Partnerschaften und Ehen auffallend oft besonders wenige Jahre, nachdem Kinder hinzugekommen sind oder ungewollt ganz ausbleiben sowie, wenn der Nachwuchs nach den gemeinsamen Jahren eigene Wege geht. Das ist selbstverständlich nicht immer so und hängt an vielen Rahmenbedingungen.
Zwischenfazit: Paare (junge wie an Jahren reifere) erhalten durch Kinder das besondere Geschenk einer Lebensfülle. Jedoch handelt es sich zugleich um Einschnitte, die Elementares in der Beziehung verändern. Dass sich Scheidungen in den ersten etwa fünf Jahren nach der Geburt des ersten bzw. eines zweiten Kindes stark häufen, lässt vermuten, dass hier spezielle Kräfte zu wirken scheinen.
2. Unerfüllter Kinderwunsch: Wende und emotionale Krise für die Beziehung!
Die Kehrseite dieser Lebens-Medaille sind jene Paare, die ungewollt kinderlos bleiben oder noch um Kinder ringen: In Deutschland ist das keine kleine Gruppe, sondern Millionen von Menschen. Etwa in jeder siebten Beziehung leben Partner/Partnerinnen mit einem unerfüllten Kinderwunsch. Übrigens ist unerfüllter Kinderwunsch selbstverständlich auch bei Paaren möglich, die bereits Kinder haben aber mindestens ein Partner/eine Partnerin hat noch einen bestehenden, drängenden Kinderwunsch.
Die Ursachen für die Kinderlosigkeit sind bei Paaren vielfältig (z. B. medizinisch/biologisch). Ein wichtiger Aspekt im Kontext des unerfüllten Kinderwunsches ist dabei zunehmend auch soziokulturell begründet. Denn bei etwa 38 % der Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch, das zeigen wissenschaftliche Studien, liegt der Grund im grundsätzlichen Fehlen des geeigneten Partners/der geeigneten Partnerin oder das Gegenüber hat keinen Kinderwunsch (mehr).
3. Die Lebenswende, wenn Kinder aus dem Haus gehen („empty nest“)
Wenn schließlich Kinder aus dem Haus und immer mehr ihrer eigenen Wege gehen, ist die Partnerschaft (erneut) speziell herausgefordert: Das Paar muss wieder eigene Themen finden, weil es womöglich im Alltagsfunktionieren und im Spagat der Jahrzehnte in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf den Blick auf partnerschaftliche Perspektiven buchstäblich aus den Augen verloren hat. Fakt ist, in kaum einer „Wende des Paarlebens“ sind die Trennungsquoten in Deutschland so sehr im Steigen begriffen wie bei jenen, die etwa 20 Jahre und länger verheiratet sind.
4. Fazit: Paar bleiben trotz und ohne Kind:
Eine Orientierung aus Sicht der Familientherapie
Stark vereinfachend lässt sich also zusammenfassen, dass Ehen besonders gefährdet sind, in den Jahren, nachdem es galt, vom Paar zur Familie zu wachsen oder wenn (endgültige) unerfüllte Kinderlosigkeit erlebt wird sowie in der Phase des „empty nest“, wenn also die „Familie wieder zum Paar“ werden musste.
Im Fall der ungewollten Kinderlosigkeit ist es wichtig, sich der schmerzlichen Erkenntnis zu stellen, dass (möglichst familientherapeutisch begleitet) intensive Trauerarbeit zu leisten ist, ähnlich wie beim Tod eines geliebten Angehörigen oder wie bei den Auswirkungen einer lebensbedrohlichen Krankheit. Zumal die Kinderlosigkeit nicht selten zusätzlich mit Fehlgeburten und/oder fehlgeschlagenen künstlichen Befruchtungen einhergehen kann. Studien zeigen, dass Infertilität als eine der schlimmsten möglichen emotionalen Krisen empfunden werden kann, übrigens nicht selten einhergehend mit einer gravierenden Identitätskrise („bin ich eine vollwertige Frau, wenn ich nicht Mutter werden kann“?) sowie mit elementar erschütternden Sinn- und Glaubenskrisen.
Kinderlosigkeit, das ist wichtig zu betonen, ist aber nicht zuerst eine Frage des Lebenssinns! Kinder stiften nicht per se Sinn. Auch wenn sie zutiefst „sinn-voll“ sind. Kinderlosigkeit raubt keinen Sinn. Kinder stiften Identität. Ihr ungewolltes Ausbleiben raubt aber – oft grausam schmerzlich – den Traum eines zutiefst erhofften Lebensentwurfs und ist damit gleichbedeutend mit einer erzwungenen „anderen“ Biografie und Identität. Das Bewusstsein, eine gänzlich anders angelegte Biografie leben zu müssen als das bisher wie selbstverständlich vorausgesetzt wurde, belastet die Seele und damit die Beziehung oft sehr stark und ist meist einhergehend mit einer ausgeprägten Lebenskrise.
Langfristig jedoch ist die subjektive Lebenszufriedenheit (und auch die Scheidungsquote) der Paare mit und ohne Kinder nicht wesentlich unterschieden, wenn es ihnen individuell gelingt, die Entbehrungen, Verluste und Belastungen zu integrieren und noch mehr je eigenen Potenziale zur Entfaltung zu bringen.
Kinder wie Kinderlosigkeit erfordern eine gravierende und radikale Neuausrichtung als Person und Paar. Kinder wie die Kinderlosigkeit erweitern Möglichkeiten und engen anderes gleichzeitig enorm ein.
Sinnvolles Leben entsteht also nicht durch Kinder oder wird durch Kinderlosigkeit vermindert!
Diese Erkenntnis ist auf Dauer unerlässlich, um erfüllend weiterleben zu können. Zumal ein schmerzlicher Stachel der Sehnsucht lebenslang bleiben kann. Wäre doch sonst auch „sinn-volles“ Leben für alle freiwillig und unfreiwillig Kinderlosen viel schwerer zu erreichen. Welch untragbare Bürde wäre es zudem aber auch für Kinder, so nahezu allein-entscheidend für sinnhaftes Leben von Eltern verantwortlich zu sein?
Kinder fordern die intime partnerschaftliche Existenz radikal heraus und „gefährden“ sie. Gleichzeitig bereichern sie auf anderen Ebenen in mindestens gleicher Weise. Ebenso verändert ungewollte Kinderlosigkeit elementare Lebenspläne fundamental. Aber beides eröffnet neue Räume der Möglichkeiten, die es über die folgenden Jahre auszugestalten, zu genießen und bisweilen auch zu durch- und erleiden gilt. Von „billigem Trost“ und zu einfachen Antworten jedoch ist dringend abzuraten. Selbstredend sind Beziehungen mit Nachwuchs anders als ohne. So wäre es beispielsweise zynisch, kinderlosen Paaren zu sagen, dass die Auswirkungen von Kindern in wesentlichen Phasen mitentscheidend dafür sein können, dass Paare in Krisen geraten oder Ehen scheitern – auch wenn dem offensichtlich vielfach so ist.
Die grundsätzlichen Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Hielte die Scheidungsrate an, wie sie sich im Herbst 2020 darstellt (noch vor der Corona-Krise, die sich hier sicherlich mittelfristig auswirken wird), sind in 25 Jahren etwa 40 Prozent aller jetzt bestehenden Ehen geschieden. In ländlichen Regionen werden das etwas weniger sein, in den Städten deutlich mehr. Die Zahl der Scheidungen wird bei den konfessionell getrauten Paaren tatsächlich noch ein klein wenig niedriger sein, als bei „ausschließlich“ standesamtlich getrauten, aber eben auch bleibend hoch.
Was also brauchen Paare wann, um in und nach den Jahren großer Lebenswenden gemeinsam gut weitermachen zu können? Was erleichtert diese Verwandlung in eine veränderte Zukunft, die trägt?
Die Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapie befähigt häufig bereits nach wenigen Sitzungen wichtige Veränderungen anzugehen. Ermöglicht wird diese kurze Zeitspanne eines Coachings durch einen konsequent lösungsorientierten Ansatz, bei dem ressourcen- und zielorientierte Perspektiven im Mittelpunkt stehen. Eine langfristige Therapie kann so oft vermieden – oder deutlich verkürzt werden.
Eine erste Orientierung für eine erfüllende Partnerschaft in und nach einschneidenden Veränderungen bietet das Buch von Peter Wendl: „100 Fragen, die Ihre Beziehung retten“.
Denn die Fragen sind es, aus denen das, was bleibt, entsteht (Erich Kästner) …